4.30 Uhr
Hellwach. Der Hase sitzt vor meinem Fenster im Flieder, er rennt erschrocken in Richtung Dünen davon, als ich vom Fensterbrett klettere und durch den Garten in Richtung Meer gehe. Meine Nase läuft. Ich könnte natürlich durch die Tür, aber so ist es schöner. Muskelkater in jedem Knochen und dsa Gefühl, ganz unglaublich lebendig zu sein, wenn man die Nase gegen den Wind stemmt und zum Wasser stapft. Um kurz vor 6 noch eine Stunde schlafen. Seelig. Entspannt.
11.20 Uhr
Niemand spielt Akkordeon auf der Fähre. Ich würde nicht sagen, dass ich die Sturmwarnung sonderlich vermisse, aber wegfahren von der Insel ist nicht so schön wie hinfahren, das steht fest. Ich esse frische Garnelen in heissem Knoblauchöl, Baked Potatoe mit Dip und trinke Apfelschorle. Die kleinen Jungs (wieder eine Schulklasse) beäugen gierig den Laptop, über den Lautsprecher singt “Jürgen” vom großen Bruder und ich habe eine Steckdose gefunden. Das Leben ist wunderbar, denn ich fahre nach Hause, zurück zu Oliver. Die Bengel vom Nebentisch sind beinahe in Ohnmacht gefallen, als ich gerade das Handy an den Laptop klemmte. Dabei habe ich diese Seite noch nicht mal hochgeladen 😉
13.09 Uhr
An manchen Tagen sieht man einzelne Menschen wie scharf gestochene Großaufnahmen. Der spitznasige triefäugige und totenbleiche Zehnjährige mit der schmuddelbeigen Oppamütze, der lächerlichen Hose mit riesigen Taschen am Schienbein und dem Rucksack, der fast so hoch ist wie er selbst, schleift zwei weitere Taschen mit sich und tritt sich dabei ständig selbst auf die offenen Schnürsenkel an den lachhaft dicken Schuhen. Diese Kinderkarikatur, er ist nur einer von vielen, die alle so oder schlimmer aussehen. Sind die in dem Alter so? Waren die schon immer so?
Die siebte oder achte bebrillte Blondine in hohen Stiefeln mit Absatz, bizarr hoch umgekrempelten Jeans, schwarzer Lederjacke und City-Rucksack - oder ist es immer dieselbe, und sie ist den ganzen Tag damit beschäftigt, ein- und auszusteigen aus Zügen, durch Abteile zu wandern und Taschen und Kaffeebecher vor und zurück zu tragen? Das schöne schwarzhaarige Mädchen mit dem langen dicken Zopf trägt ihr Baby in so einem Teil zum Umschnallen vor sich her, es beobachtet vergnügt (mit dem Gesicht nach vorn) die Gegend. Sie sieht aus, als könnte sie Schlaf brauchen. Der bärtige Mann hat eifrig sein Sony-Notebook aus dem Koffer gekramt, als er meines erblickte. Sony Vaio - irgendwie zu lila, wackelt auch hin und her, aber ich war so nett und habe es bewundernd gelobt. Die besoffenen Kölner Kegelclubweiber sind ausgestiegen: Ordinäre, verlebte Frauen - fast alle rötlich getönte Haare, “praktische” Kurzhaarfrisuren - das und der Alkohol verleihen ihnen eine bemitleidenswerte und schmuddelige Schwesternschaft. Sie schwanken wie Zombies auf dem Weg den Bahnsteig hinunter und haben auch den leeren Blick. Ich glaube ehrlich und ernsthaft, dass ich mit 45 lieber tot wäre als so eine. Aber das ist müssig, ich kann weder kegeln noch saufen noch mich in eine Gemeinschaft aus derart gestylten Frauen einfügen. Yippie 😉
14.28 Uhr
Hiermit erbitte ich untertänigst die offizielle Erlaubnis, die nächste Person, die mir UNAUFGEFORDERT einen guten Rat zukommen lässt, mit der flachen Hand quer durch das Gesicht schlagen zu dürfen. Zum Wecken, versteht nicht, nicht mal aus Aggression. Es ist sowas von ermüdend und nervtötend, wenn jemand sich zum ehrenamtlichen Berater, Erziehungsberechtigen oder Aufpasser berufen fühlt. Ich möchte mit den Füssen aufstampfen und fragen “kannst du deine verdammten persönlichen Defizite nicht woanders kompensieren???” und wer weiss, wenn diese Dame ihr orangebraunes schmales Faltenmündchen nicht bald hält, werde ich es auch tun. Erst habe ich ein Buch empfohlen bekommen (ich lese die Stumme Herzogin und sollte doch lieber ??? hab ich vergessen lesen, der diese Epoche in Sizilien weit treffender beschreibt). Nun ist Cola ein ungesundes Getränk und dann fingen die Ernährungstipps an. Es ist grausam von mir und ungerecht, aber wenn sie nicht so alt und faltig wäre, würde sie mich nur halb so sehr nerven. Übrigens, ihre Nichte hat auch ein Internet. Das ist schön. Ich fand ja schon immer, jeder sollte eins haben.
In diesem Sinne ....
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