Strikte Bettruhe lautete die Ansage für mich, während Roswitha und Waltraut äußerst agil waren und frohen Mutes von ihren Entlassungen in einigen Tagen sprachen. Je länger ich dort herumlag, desto mehr wurde es mir ein Rätsel, was sie überhaupt noch dort taten. Außer ein erweitertes Sozialleben pflegen, versteht sich. Sie erhielten Besuch auf dem Zimmer von anderen rüstigen Damen, statteten selbst Gegenbesuche ab, trafen sich zu bestimmten Zeiten am Raucherplatz und telefonierten stündlich jede mindestens dreimal. Schön laut, versteht sich.
Erst dachte ich, dass ich tagsüber mit geschlossenen Augen davonkommen konnte, aber dem war nicht so. Waltraut ließ gekonnte Besorgnis erkennen, kam ganz nah an mein Bett geschlichen »Ja geht es Ihnen etwa nicht gut?« Was sagt man darauf in meiner Situation, so was wie »ach doch, ich mache hier nur Urlaub, weil ich auf verdrecktes 70er-Jahre-Ambiente so stehe, dass ich drin rumliegen will?« Es war aber sowieso nur ein Trick von ihr, sie interessierte sich nicht die Bohne dafür, ob es mir gut ging, so lange sie nur meine Gehörgänge für ihr Geschwalle missbrauchen konnte.
Einen Tag lang hatte ich bereits dort gelegen, mich gezwungenermaßen still verhalten. Ich hatte gehört, dass Waltraut gut zu Fuß und beschwerdefrei vorwärts kam, wenn es zum Frühstück ging oder sie sich Zigaretten holte … sie aber eine große Menge “oh, aua, weia, auweh” und “ächz” von sich gab, wenn sie Publikum hatte oder dachte, dass ich wach war. Als sie sich unter theatralischem Wimmern neben mir niederließ, fragte sie kurz ab, was ich denn hatte. Grunzte dann äußerst zufrieden und teilte mir mit, das sei ja alles gar nichts, unwichtig im Vergleich zu ihren Leiden und schon daher komplett zu vernachlässigen. Denn sie, Waltraut, sie sei nicht nur krank gewesen, nein! Sie habe auch eine schwere Kindheit gehabt, in Ostpreussen. Eine sehr arme, leider auch ungemein ausführliche Kindheit, wie sich herausstellte in den nächsten 40 Minuten.
»Wir hatten ja nichts!« endete die lange Tirade. Von links kam ein Echo, denn Roswitha, die hatte ja auch nichts gehabt, »drüben«.
Ich wollte mir gerne das Kissen aufs Gesicht legen, bevor die auch noch anfing, aber es gab dann Abendessen und ich konnte mich stattdessen an einer Scheibe Graubrot erfreuen, die sich an den Ecken schon lächelnd mir entgegenbog, garniert mit Diätmargarine und –marmelade und einem Früchtetee. Bis die Schwestern merkten, dass ich angesichts des trostlosen Graubrots in einen halben Hungerstreik getreten war, sollten noch einige Mahlzeiten vergehen. Zwischenzeitlich aß ich Bananen, von denen ich den Mann gebeten hatte, einen Vorrat mitzubringen, und bemühte mich um Unauffälligkeit.
Rechts Waltraut, die quietschfidel, laut und munter war. Bis das Telefon schrillte. Dann nahm sie mit einem leidenden Seufzer den Hörer auf und jammerte betont ermattet ein ‘Hallo’. An diesem Abend begann, was ich in den nächsten vier Tagen nur noch die Tirade nannte. Eine Tirade, die den Mann an meiner Seite ungemein erheiterte, aber er hörte das auch nicht achtundzwanzigmal nacheinander jeden Tag.
»Ach«, winselte Waltraut. »Seit ich vor drei Tagen dieses Päckchen genommen habe, das der Arzt mir gegeben hat, hab ich nur noch Durchfall. So braunen, dünnflüssigen, ganz schlimm brennenden, das hört gar nicht mehr auf. [Hier bitte längere ausführliche Beschreibung des Exkrements einsetzen, jeweils im Abgleich mit den aktuell eingenommenen Mahlzeiten und möglichen Ursachen für eventuelle Verfärbungen.] So’n Päckchen, das kann ich echt nicht mehr nehmen! Die Frau Roswitha hat auch ein Päckchen genommen, und bei ihr [Erläuterungen in epischer Länge zu Form, Farbe und Geruch von Roswithas Stuhlgang einsetzen], da können wir doch kein Päckchen mehr nehmen, aua aua, wo soll das denn hinführen …«
Natürlich haben sowohl Waltraut als auch Roswitha sich weiterhin jeden Tag dreimal ein “Päckchen” Abführmittel geben lassen, ohne dem Arzt von dem anhaltenden Durchfall zu berichten, dafür aber den Rest der Welt detailliert informiert und die Päckchen auch gar nicht genommen, sondern im Nachtschrank versteckt. Dies nur als unwichtigen Infohappen zwischendurch.
»Oh, ah, aua«, kam es von Waltraut. »Mein Futlöchlein brennt wie Feuer, wie können die mir so ein Päckchen geben [hier bitte Wiederholung beider Verdauungsbeschreibungen von weiter oben einsetzen und dreimal wiederholen]« Nun weiß ich, dass es Leser hier gibt, die mir zutrauen würden, ein Wort wie ‘Futlöchlein’ zu erfinden, aber leider war es nicht so.
Da ich euch allen ein Wochenende mit unverdorbenen Geschmacksknospen gönne, verzichte ich an dieser Stelle auf die Beschreibung, wie wir alle daran teilhaben durften, als das Futlöchlein dann von der bewundernswerten Nachtschwester mit einer Creme eingerieben wurde. Auch wer nicht dabei war, konnte später noch alles Wissenswerte erfahren, denn die Telefonate über Aua, Päckchen und Futloch wurden fortan um Nachtschwester und Creme erweitert.
Oliver kann man mit sowas sehr erheitern. Aber der ging ja auch nach der Besuchszeit heim.
Also wenn man das so liest, ist es wirklich ungemein erheiternd. Hab mich gerade prächtig amüsiert. 😉
Aber wenn man da drin steckt und nicht raus kann, ist es Horror pur. Ich habe eine Tante, die man unter keinen Umständen fragen darf, wie es ihr geht. Wer es nicht weiß und nett sein will, für den ist der Tag gelaufen…
Liebe Grüße und gute Besserung!
Oje, das klingt ja fürchterlich!
Könnte es nicht sein, dass die beiden Damen in Wirklichkeit von der Krankenkasse für wenig Geld angeheuert wurden, um den Krankenhausaufenthalt von den echten Patienten so unangenehm und damit so kurz und kostengünstig wie möglich zu gestalten? Dass man im Anschluss möglicherweise eine Therapie benötigt, um die frisch erworbenen Neurosen wieder los zu werden, das hat die Kasse allerdings übersehen.
Gute Besserung!!
Da sieht man mal wieder, wie sehr sich Deutschland und Österreich doch unterscheiden ... dieses F-Wort wird bei uns nämlich nicht für einen Aus-, sondern einen weiblichen Eingang in der unteren Körperhälfte verwendet.
Jessas. Mein Beileid. Hoffentlich kannst in dem Umfeld überhaupt gesund werden! Ich wünsch’ es dir auf alle Fälle.
Ich schließe mich den Gute Besserungswünschen hier und Anjas These an.
Meine Güte, da kann man dir echt nur wünschen, dass du da sehr bald und ohne bleibende Schäden wieder rauskommst. Ich kenn solche Labertanten (habe selber gneug in der Verwandschaft) und ich schätze, ich hätte denen inzwischen schon selber diese Abführpäckchen unter das Essen gemischt. Wenigstens würden sie dann den Tag auf der Toilette verbringen…
Alles Gute!
Die Fut kenne ich von Frau Mutzenbacher 😉
Habe die Damen wohl zuviel davon gelesen…
Bäh, das ist ja ekelhaft :-(
Abgesehen davon, dass ich dieses alberne Wort noch nie gehört habe, mir würde es im Traum nicht einfallen, die halbe Welt über meine Verdauung zu unterrichten. Manchen Leuten ist offenbar gar nichts peinlich.
Du Arme!
Ich wünsche dir weiterhin gute Besserung. Lieber ne Katze auf dem Bauch als sowas…