Ein Vortrag. Lauter interessierte Menschen, die sich auf den Vortragenden konzentrieren.
Natürlich sitzt die eine Person, die ihren Arsch nicht stillhalten kann, genau vor mir. Erst muss sie ihren Rucksack drapieren, fünfmal hochnehmen, Notizbücher und Stifte und ein Wasserfläschchen heraussortieren, auf den Stuhl neben sich legen und dann wieder aufstehen, ihre Jacke ausziehen, zu einem Kissen falten und sich darauf setzen. Dann sitzt sie endlich und bewegt sich ununterbrochen von links nach rechts nach links nach rechts, immer schön mit dem kompletten Oberkörper. Da ich den Redner gerne sehen würde, wenn er spricht, zwingt sie mich, ihrem idiotischen Gehibbel zu folgen und mich auch immer mal wieder von rechts nach links zu lehnen.
Mühsam gewöhne ich mich an den Gedanken, dass es jetzt zwei Stunden so weitergeht genau vor meiner Nase, während tatsächlich alle anderen Anwesenden völlig gelassen stillsitzen. Da beginnt sie, sich alle zwei drei Minuten vorzubeugen, ihre Knie zu umarmen, den Rücken dann zu dehnen, ein Miniatur-Schlückchen aus der Wasserflasche zu nehmen, diese umständlich wieder zu verwahren, sich die Locken durchzuwuscheln und dabei die ganze Zeit weiter von rechts nach links von links nach rechts zu wibbeln auf dem Stuhl.
Ich widerstehe der Versuchung, meine Fingernägel tief in ihren Rücken zu graben und wähle stattdessen die Lehnen meines Stuhls. Vor mir bewegt sich der kurzgelockte Stuhlinhalt unaufhörlich. Ein Schlückchen Wasser, nach rechts lehnen, einmal auf den leeren Notizblock schauen, den Stift umständlich wieder wegstecken, das Wasserfläschchen verstauen, nach links lehnen, vorbeugen, Knie umarmen, nach rechts lehnen, Notizblock und Stift wieder vorräumen, das Wasserfläschchen wieder in die Hand nehmen, sich nach rechts und sofort wieder nach links lehnen …
Da ich keinen Mord begehen möchte, jedenfalls nicht vor so vielen Zeugen, finde ich mich damit ab, den Redner immer nur für Sekunden sehen zu können. Hin und her, von rechts nach links, von links nach rechts, Wasserfläschchen, Notizblock, von rechts nach links, von links nach rechts, leerer Block, Schlückchen Wasser, alles wieder verstauen, die eigenen Locken durchwuscheln, wieder auf die andere Seite lehnen, sich mal kurz am Schuh pulen und dann dringend wieder das Wasserfläschchen …
Wahrscheinlich würde ich freigesprochen.
Trotzdem ziehe ich es vor, diesen Platz in der ersten Pause zu verlassen, denn nun fängt sie auch noch an, sich nicht nur vorzubeugen, sondern auch noch nach rückwärts zu dehnen, zu strecken und beide Arme im Nacken zu verschränken, um sich selbst zu massieren.
Auf der Flucht werfe ich einen Blick auf ihr Gesicht und finde, was ich erwarte. Sie langweilt sich. Aber statt einfach zu gehen, gibt sie den renitenten Bewegungsclown.
Oder die ist immer so. Das täte mir natürlich leid. Irgendwie.
Das schlimme an solchen Menschen ist: Man kann sie nicht wegignorieren.
Warum hast du sie nicht einfach “nett” gebeten, den Scheiß zu unterlassen?
(In meinem Fall hätten dann entweder mein Tonfall oder mein Gesichtsausdruck ganz deutlich gemacht, dass sie gerade knapp einem Mordanschlag entgeht.)
Entweder es liegt daran, dass ich älter (und empfindlicher) werde oder es liegt daran, dass es tatsächlich immer mehr Leute “with the attention span of a poodle” gibt.
Mir fällt das in der letzten Zeit auch immer wieder im Kino auf. Die Anzahl der Leute, die es nicht schafft 90 oder 120 Minuten einem Film konzentriert zu folgen, nimmt echt stetig zu. Die stehen dann einfach mittendring auf, gehen neues Popcorn holen, aufs Klo, eine rauchen, telefonieren oder was auch immer…
Thomas: Stimmt leider.
Samulli: Ich kann ja niemandem befehlen, stockstill zu sitzen :(
Marion: Gibt immer mehr davon. Es sind unruhige, flachgeistige Zeiten, irgendwie.
Schlimmer noch war der Falschklatscher bei den Harlem Gospel Singers…
Der neben der begeistert neben dem Takt hopsenden Tante, ja. Der war noch schlimmer, das gebe ich zu.
Geht doch nichts über ein gepflegtes Halleluja in den Pausen…
Was soll man machen, wenn so eine weiße Dame den schwarzen Soul im Blut zu haben meint ... immerhin hat sie nur so kleine Känguruh-Hüpfer mit angezogenen Pfötchen gemacht und nicht Bouncing von links nach rechts wie der andere.
Da fallen mir folgende Fragen ein:
„OOps,Sie haben heute Ihr Ritalin vergessen, nicht wahr?”
Auch schön: „Das nächste Mal nehmen Sie Ihr Ecstasy bitte erst nach solchen Veranstaltungen …“