Waltraut hätte gerne Adressen mit mir getauscht, um mich auch zukünftig über die Entwicklung ihrer Verdauung und über den Heilungsprozess vom Löchlein auf dem Laufenden zu halten, aber ich habe es trotz lebenslanger Überkonditionierung in Sachen Höflichkeit geschafft, diesem Austausch aus dem Weg zu gehen.
Nachdem ich wusste, dass ich am nächsten Tag entlassen werde, sagte ich ihr ganz entschieden: »Diese Krankheitsgeschichte will ich jetzt nicht hören. Mir geht es selbst ziemlich schlecht, und diese Schilderungen ziehen mich nur runter.« Das hat sie dann erstaunlicherweise sofort akzeptiert und auch nicht übel genommen. Sie hatte ja noch massenhaft andere Themen, die man ausbreiten konnte, wie sich dann herausstellte.
Roswitha freute sich auf Daheim und ihren Freund. Wenn Waltraut nicht im Zimmer war, vertraute sie mir an, dass so ein enger Familienverbund ja nichts für sie wäre, sie mochte ihre Freiheiten. War Roswitha im Haus unterwegs, ließ wiederum Waltraut durchblicken, dass sie ja nichts dafür übrig hätte, einen Freund zu haben so wie Roswitha, das sei ja nichts für sie, nach dem Tod ihres Mannes habe sie das ‘nicht nötig’.
Andererseits war es Waltraut, die in längere Schwärmereien über den knackigen Hintern eines Assistenzarztes ausbrechen konnte und selbst in meinem Dämmerzustand war für es dann irgendwann für mich durchschaubar, dass Waltraut sich gerne jahrzehntelang quer durch die Republik geschlafen hätte, wenn Sitte, Moral, Anstand und die werte Verwandtschaft nicht ebenso im Wege gestanden hätten wie ein eher biederes Äußeres.
Das Übliche eben, Anprangern vor allem von dem, was man selbst gern hätte oder täte und Gelästere vor allem über Menschen, denen man sich unterlegen fühlt.
Am letzten Tag warteten nur noch Waltraut und ich darauf, endlich gehen zu können. Ich hörte ein letztes Mal die lange Geschichte vom Päckchen, dem Durchfall und dem Löchlein und wünschte alles nur erdenklich Gute für den Heilungsprozess. Ganz ehrlich übrigens. Aber die Adresse gab ich nicht heraus.
Auf meinen Nachtisch klebte noch der Honig mitten in der runden Hinterlassenschaft der Teetasse, die ich in meiner Erschöpfung nicht ganz in den Griff bekommen hatte. In den fünf Tagen hatte niemand das durchfallverseuchte Badezimmer gereinigt, es war nur einmal der Boden gewischt worden und der klebrige Tassenrand war einfach da geblieben, wo er vom ersten Abend an war.
Mir war es inzwischen egal, ich wollte nur noch schlafen. Zuhause konnte ich es dann auch endlich.
Erstaunliche Parallellen zu mir. Eben habe ich ähnliches durchgemacht und bin gerade über dem Berg. Dir alles gute!
Oh, ich hatte gar nicht mitgekriegt, daß du so lange im Krankenhaus warst (in welchem denn eigentlich?)...! Aber weiterhin GUTE BESSERUNG auch von mir!
Weißt du jetzt, weshalb ich Krankenhäuser meide, wie der Teufel das Weihwasser? Schon allein, dass man seine Persönlichkeit beim Pförtner abgeben muss, macht mich krank. An seltsame Zimmergenosen hatte ich nicht mal gedacht - ich war nur als Kind in der Klinikhölle. Und ich hoffe inständig, dass das so bleibt.