Wayback in the Machine II

Als Autorin, die seit vielen Jahren online schreibt, durch ihr Blog von Kolumnen, Buchverträgen und anderen Aufträgen gefunden wurde und bald noch so einiges ausprobieren möchte online, betrachte ich das Archive.org als etwas, das abzuschalten gilt – auch, weil ich selbst entscheiden möchte, wann ein Text von mir aus dem Web verschwindet. Als Webdesignerin ist mir ja prinzipiell jedes (eigene) Design fünf Minuten nach dem Stapellauf schon wieder eine Last, die es zu erneuern gilt, sobald man Zeit findet - die inzwischen über 20 früheren Layouts von Blog und Website muss es wirklich nicht auch noch zum Durchblättern geben.

Als Frau und Netzkreatur aber entzückt mich die Vorstellung, dass gewaltige Cybermaschinen schweigend und unaufhörlich jede einzelne Seite verdauen, über die sie crawlen können, um sie für immer in ihren Eingeweiden zu bergen.

Ein Archiv für alle, die spät nach uns kommen: Sie haben es verdient, auch die Anfänge zu sehen. Bevor die Horde kam und sich vereinheitlichend über alles wälzte. Die erste Zeit hatte was. Viele Stimmen sangen in jeder Nacht, wichtiger noch: Es gab genug Raum, sie auch tatsächlich zu hören. Manchmal fand man im sanften Rauschen der Datenströme ein Textjuwel, an dessen Aufprall im Hirn man sich noch Jahre später lächelnd erinnern konnte.

Wenn du jemanden nicht mochtest, dann bist du eben fortgewandert im Browser-Fenster: Ein in Vergessenheit geratener Luxus, den sich jeder leisten kann. Früher war nicht alles besser, aber vieles auf gute Art ganz anders. Wer nicht dabei war, kann es nicht verstehen und kann nur sein eigenes Früher erleben, immer in dem Moment wenn es zerstört wird durch Nachwachsendes.

Es ist eben alles so, wie es sein muss.

Deswegen liebe ich den Gedanken, dass es Archivare und Bots gibt, die sich nicht um Anweisungen in einer robots.txt kümmern werden, sondern das Netz aufnehmen in jeder für sie denk- und ergreifbaren Version. Die Wayback Machine wird wohl nicht das einzige aufsaugende Wander-Tool sein oder bleiben. Irgendwo entstehen dann gigantische Momentaufnahmen, eine nach der anderen, aneinandergereiht durch Hyperlinks, die morgen schon zu Broken Links werden könnten – aber das passiert ihnen nur online und nicht in den Tiefen des Archivs, das eines Tages viel weitreichendere Möglichkeiten der Analyse bieten wird als wir es uns zurzeit vorstellen.

Wenn Blogger träumen, durchwandern sie vielleicht nur ihre eigenen Archive und die anderer Blogs, in die sie versehentlich geraten. Stolpern über Permalinks, die sie nicht selbst angelegt haben und suchen nach Personen, die sie mit in eine für die Ewigkeit bestimmte Ablage nehmen würden, obwohl sie sich bisher nur über Kommentarfunktionen kennen.

Wovon träumt dann wohl jemand, der die Inhalte der Wayback Machine irgendwann nach Hundert oder mehr Jahren wieder liest?

Ich hoffe, sie schreibt es ins Netz.

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